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Allein und auf eigene Faust.

Flüchtlinge sind „Höhlenmenschen“, sagt ein Politiker. Das Jugendmagazin TOPIC traf einen von ihnen.

Von Robert Dempfer

 

Als ich 16 bin, will ich weg. Von Eltern, Schule, der kleinen Stadt. Rucksack gepackt, Geld eingesteckt. 120 Kilometer weiter ist Endstation. Geld weg, Nacht, kalt, Schlafen am Bahnhof. Zwei freundliche Polizisten wecken mich und bringen mich wieder nach Hause. Als Mortaza 16 ist, ist er schon 100-mal weiter als ich. 12.000 Kilometer hat er hinter sich, als ihn die Polizei aus einem Lkw fischt. Auf Bahnhöfen hat er nicht geschlafen. Sondern im Wald. Hat Mais und ein wenig Brot gegessen. Die Angst von damals verfolgt ihn bis heute in seine Träume.

 

Ingenieur in Schweden

 

Mortaza ist acht Jahre alt, als er seine Heimat Afghanistan verlässt. Es ist Krieg, die Familie übersiedelt ins Nachbarland Iran. Das Leben dort ist nicht viel besser. Mortazas Mutter entscheidet: Ihr Sohn soll einen guten Beruf lernen. Bauingenieur. Am besten in Schweden. Mortaza macht sich auf nach Europa. Allein. Zuerst zu Fuß in die Türkei. Dann mit einem kleinen Plastikboot über einen Fluss nach Griechenland. Panik, es klappt nicht beim ersten Mal. Es geht weiter nach Mazedonien und Serbien. Ein Lkw bringt ihn nach Österreich. Und fährt mitten in eine Polizeikontrolle.

 

Flucht statt Schmuck

 

Seine Mutter bezahlt die Schlepper, die Mortaza von Land zu Land bringen. Dafür verkauft sie ihren Schmuck. Mortaza landet in der Betreuungsstelle Traiskirchen. Hier leben Flüchtlinge, bis klar ist, was weiter mit ihnen geschieht. Mortaza sucht um Asyl an: Er möchte in Österreich bleiben. Er spricht nur seine Muttersprache Dari. Seine Betreuerin in Traiskirchen auch, aber sonst nur Englisch. Doch in Österreich wird Deutsch gesprochen. Welche Sprache soll er lernen, um sich hier zu verständigen? Mortaza lernt beides, Deutsch und Englisch.

 

Nächste Station Linz

 

Nach Traiskirchen kommt er in ein kleines Dorf in der Oberösterreich. Ohne Ohne Schule, ohne Deutschkurse.

Mortaza sucht sich Sprachkurse im Internet und lernt alleine weiter. Eines Tages erfährt er, dass seine Mutter gestorben ist. Im Dorf ist es trostlos. "Ich bin mein ganzes Leben allein", sagt er. Und davon hat er genug. Er erinnert sich an seine Mutter - und macht sich wieder auf: nach Schweden. Dort landet er wieder in einem Flüchtlingslager. Wieder lernt er die Sprache. So schnell, dass seine Lehrerin sagt: "Das gibt es nicht, du musst schon lange in Schweden sein!" Weil er in Österreich um Asyl angesucht hat, darf er nicht in Schweden bleiben.

80 Euro für Deutsch

 

Zurück in Österreich hilft das Rote Kreuz Mortaza aus seinem Dorf heraus. Er kommt in ein Flüchtlingsheim in Linz, geht zur Schule.

170 Euro bekommt er im Monat fürs Essen. 80 Euro davon spart er sich Monat für Monat ab, für Deutschkurse. "Ich kann ohne Essen leben", sagt er. "Aber nicht ohne Lernen." Inzwischen ist Mortaza 19. Im Februar schreibt der Asylrichter, dass er in Österreich bleiben darf. Im März ist er mit der Schule fertig, das Zeugnis bestens. Für September hat er sich an der HTL in Linz angemeldet. Er möchte Elektrotechniker werden. Aber neben dem Studium muss er Geld verdienen. Deshalb sucht er eine Lehrstelle als Elektroniker. Immer noch.

Ein normales Leben

 

"Alles, was ich mochte, ist ein normales Leben", sagt Mortaza. Noch ist er dort nicht angekommen. Seine zweite Reise fängt gerade erst an. Es ist die in ein neues Leben in Österreich. Allein und auf eigene Faust.

Was sind UMF?

Jahr für Jahr flüchten Tausende Kinder und Jugendliche wie Mortaza alleine, ohne ihre Eltern. Sie sind UMF: unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

  • Im letzten Jahr sind 2.000 zwischen 15 und 17 Jahren nach Österreich gekommen
  • Gerade in punkto Schule haben sie es nicht leicht, sie müssen eine neue Sprache lernen, den Abschluss der Pflichtschule nachmachen, sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden, Freunde finden. Organisationen wie www.lobby16.org oder das Rote Kreuz helfen ihnen dabei.

Topic - Das junge Magazin

Jeden Monat bringt TOPIC aktuelle Infos und Hintergrundberichte zu Themen aus Welt & Umwelt, Stars & Events, Bücher & Games, Body & Soul, Schule & Job. Infos und Bestellung: www.mytopic.at

Beruf: Schlepper

Die EU gibt Jahr für Jahr Millionen für den Schutz ihrer Grenzen aus. Ohne Schlepper schafft es deshalb kaum ein Flüchtling nach Europa. Schlepper kennen Schleichwege und bringen Flüchtlinge gegen Bezahlung illegal über Grenzen oder übers Mittelmeer. Sobald ein Flüchtling eine Staatsgrenze überquert hat, bekommen die Schlepper von seinen Angehörigen Geld überwiesen. Bei einigen Schleppern gibt es auch "Komplettreisen". Doch die meisten bieten nur einen einzigen illegalen Grenzübertritt an. "Schlepperringe" sind selten.

 

Zwischen 5.000 und 10.000 Euro kostet eine "Reise" von Afghanistan nach Österreich. In Afrika setzen Schlepper Flüchtlinge inzwischen auf führerlose "Geisterschiffe" in Richtung Europa. 5000 Euro kostet ein Platz, 500 Flüchtlinge passen auf ein Schiff. Nach Abzug der Kosten verdienen Schlepper mit einem Schiff über zwei Millionen Euro, hat die europäische Grenzschutz-Agentur FRONTEX errechnet.